Flugtaxis aus München:
Senkrechtstart bei Unicorn Lilium  

 

von Ilja Wolkow, Nico Block, Marie Daut, Nancy Wächter  

von Ilja Wolkow, Nico Block, Marie Daut, Nancy Wächter  

Bahnbrechende Innovationen und Unicorns kennen wir überwiegend aus den USA. Dass auch deutsche Firmen zu Innovationsvorreitern werden können, zeigt Lilium. Das Münchner Startup hat die Nase ganz weit vorn, wenn es um Technologien der Zukunft im Bereich Urban Air Mobility geht. Seit seiner Gründung vor fünf Jahren hat es einen Senkrechtstart bei den Investoren hingelegt und knackte im Juni die Milliardenbewertung.

Lilium: Lufttaxi der Zukunft

Du öffnest deine Lilium-App, checkst die Abfahrtszeit des nächsten Taxis und reservierst dir einen Platz. Auf einem Münchner Parkhausdach ganz in deiner Nähe erwartet dich wenige Minuten später ein Jet. Eine weitere halbe Stunde später landest du auf einem Bürogebäude des Nürnberger Altstadtrings, pünktlich zum nächsten Termin.

So oder so ähnlich könnten wir uns gegen Ende der 2020er fortbewegen. Das glauben zumindest Lilium und seine milliardenschweren Investoren.

Denn das Münchner Startup entwickelt das weltweit erste senkrecht startende und landende Luftfahrzeug – vollelektrisch und für fünf Passagiere. 2025 soll der Lilium Jet in Serie gehen.

Gründungsgeschichte des Unicorns Lilium

2015 schlossen sich die Ingenieure und Doktoranden Daniel Wiegand, Sebastian Born, Patrick Nathen and Matthias Meiner an der Technischen Universität München zusammen und machten ihre Begeisterung für das Fliegen zum Beruf. Die vier Gründer glauben an die Zukunft der Air Mobility.

Wie ihr Namensgeber Otto Lilienthal möchten die Gründer von Lilium Luftfahrtpioniere werden – auf ihrem Gebiet der Flugtaxis. Der deutsche Luftfahrtpionier Otto Lilienthal (1848-1896) war der erste Mensch, der wiederholt Gleitflüge durchführte und ein Konzept der Tragfläche entwickelte, das heute noch Anwendung findet.

Ob auch Lilium die Luftfahrt revolutioniert? Wahrscheinlich. Denn bereits heute ist Lilium eines der weltweit bekanntesten Unternehmen im Bereich von Air Mobility für Kurz- und Mittelstrecken (200-300km). Lilium zählt damit zu den Vorzeige-Startups der deutschen Szene.

Geschäftsmodell des Münchner Einhorns

Lilium hat sich zum Ziel gesetzt, Mobilität auf ein neues Level zu bringen und die Fortbewegung der Zukunft so bequem wie möglich zu gestalten.

 

“We believe in a world where anyone can fly anywhere, anytime.” (Lilium GmbH)

 

Das Unternehmen fokussiert sich auf die Entwicklung, das Design und den operativen Betrieb eines 36-motorigen, elektrisch angetriebenen Jets für die personelle Beförderung. Das senkrecht startende und landende Luftfahrzeug kann bis zu 4 Passagiere und einen Piloten transportieren. Mit einer Maximalgeschwindigkeit von 300km/h und einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern soll der Flug-Service Vorreiter im Urban Mobility Markt werden.

Höher, schneller, weiter. Lilium macht diesen Kundenwunsch zum Motto. Über die ersten Angaben zu zukünftig erreichbaren Strecken dürften sich Eilige freuen:

  • von New York bis Boston (300km Strecke) in 60 Minuten
  • von London nach Oxford (83km) in 17 Minuten
  • von München nach Nürnberg (152km) in 32 Minuten

 

„Kunden kaufen bei uns keine Jets, sondern Reisen. Sie haben die Lilium-App auf dem Smartphone, die ihren Standort kennt, ihnen den Weg zum nächsten Landeplatz zeigt – und einen Platz im Jet reserviert.“ (Daniel Wiegand, Co-Founder & CEO der Lilium GmbH)

 

Möglich werden diese Szenarien durch den Einsatz neuester Technologie und eine vollständige In-House Entwicklung. Dafür hat sich Lilium tatkräftige und namhafte Unterstützung ins Haus geholt – u.a. Autodesigner Frank Stephenson, Arnd Mueller (ehem. Manager bei Esprit), Yann de Vries (Partner bei Atomico) und Oliver-Walker-Jones (ehem. Luftfahrt Rolls-Royce). Ebenso schlossen sich Airbus Ingenieure aus dem Bereich Qualität, Produktion und IT dem Münchner Startup an.

Partner von Lilium

Bisher verdient das Unternehmen kein Geld. Konkrete Vorstellungen vom Geschäftsmodell und der Einbindung weiterer Partner existieren aber bereits. Der CEO Wiegand denkt dabei an Kooperationen mit Flughäfen oder Messen.

Auch für Städte soll die Lilium-Mobilität interessant sein. Durch Senkrechtstarts und -Landungen werden keine extra Landebahnen benötigt – Parkhäuser und massive Gebäude seien ausreichend.

Urban Air Mobility – hart umkämpfter Markt der Zukunft

Aktuell wird das weltweite Marktvolumen der Urban Air Mobility auf ca. 6 Milliarden US-Dollar geschätzt. Bis 2030 soll der Markt auf 30 Milliarden US-Dollar wachsen. Lilium konkurriert nicht nur mit Startups, sondern auch mit milliardenschweren Unternehmen aus den Bereichen Mobility, Luftfahrt und Automotive.

So arbeitet Uber bereits seit Jahren an einer ganzheitlichen Lufttaxi-Plattform "Elevate". Elevate soll ein Netzwerk für die sogenannten "elektrischen VTOL" darstellen (vertical takeoff and landing). Der Marktlaunch ist für 2023 angedacht und damit noch vor Lilium. Das birgt Gefahren für das bayerische Startup Lilium. Zudem geht Uber parallel eine Kooperation mit Hyundai ein. 

Auch Hyundai entwickelt ein eigenes Projekt namens S-Link. Es soll Menschen, aber auch Güter transportieren. Ein ähnliches Konzept verfolgte in Vergangenheit Toyota. Nun investiert der japanische Autohersteller einen dreistelligen Millionenbetrag in das kalifornische Startup Joby Aviation.

Außerdem betreten zwei weitere, gefährliche Player die Air Mobility Arena. Sie weisen wohl am meisten Fachkompetenzen in diesem Gebiet auf: Airbus testet ab 2020 in Ingolstadt das neu entwickelte Flugobjekt "CityAirbus". Porsche geht dagegen eine Kooperation mit dem US-Amerikanischen Luftfahrt Giganten Boeing ein.

Im benachbarten Baden-Württemberg bekam außerdem das in Bruchsal ansässige Unternehmen Volocopter 2017 von der Daimler AG einen Invest von knapp 30 Mio. Euro.

Geldspritzen für Lilium

Seit der Gründung im Jahr 2015 wurde Lilium von der ESA (European Space Agency) unterstützt und gefördert. Mit einem derart starken Partner im "High Technology Sektor" ließ die erste große Finanzierung nicht lange auf sich warten.

Skype-Mitbegründer Niklas Zennström investierte über seinen Fond Atomico als erster 11 Mio. US-Dollar in das Startup. Ein Jahr später flossen im Rahmen der Series B Finanzierung weitere 90 Mio. US-Dollar.

Neben wiederholten Investitionen durch Atomico, war auch der Tech-Investor Frank Thelen mit seinem Fond Freigeist beteiligt. Das chinesische Internet-Unternehmen Tencent und die Investmentgesellschaft Obvious Venture des ehemaligen CEO von Twitter (Ev Williams) setzen ebenfalls auf das Lufttaxi der Zukunft.

 

Die Kapitalinvestitionen trugen dazu bei, dass das Team von damals 70 Personen weiter wachsen und ein erster Prototyp fertiggestellt werden konnte. 

Die Investmentfirma von Baillie Gifford – übrigens der zweitgrößte Investor in Tesla – tätigte das bisher größte Investment in Lilium: Im März 2020 bekamen die Gründer eine Finanzierungsspritze von 240 Mio. US-Dollar. Drei Monate später folgte die zweite und aktuellste Tranche in Höhe von 35 Mio. US-Dollar. Damit ist Lilium offiziell in den Club der Unicorns aufgestiegen.

Kapitalverwendung für Weiterentwicklung des Lilium-Jets

Trotz eines ersten erfolgreichen Jungfernflugs des Lilium Jets besteht weiterhin viel Entwicklungsbedarf. Die beiden aktuellen Funding-Rounds kommen also wie gerufen: Das Team arbeitet u.a. an der Reduzierung des Gewichts des Flugtaxis. Und auch an der Flugsteuerung und Ladekapazität der Batterie wird weiterhin geforscht.

Das Kapital der letzten Finanzierungsrunde soll mit den zuvor erhaltenen 240 Mio. Dollar in die weitere Entwicklung des Lilium Jets fließen sowie in umfassende Vorbereitungsarbeiten für die geplante Serienproduktion 2024. Dafür ist eine weitere Produktionshalle in Planung. Dabei setzt Lilium auch in Zukunft auf den deutschen Produktionsstandort und europäische Ingenieur-Expertise.

Das Kapital soll Lilium außerdem helfen, sich im Bereich der Softwareentwicklung solide aufzustellen und so ein tragfähiges Gesamtkonzept für die Air Mobility parat zu haben.

Offene Fragen und Herausforderungen fürs Unicorn Lilium

Obwohl die ersten Flugversuche bereits stattgefunden haben, kritisieren viele Luftfahrtexperten Liliums ambitionierten Pläne und halten diese für unrealistisch. Das angestrebte Gesamtgewicht von 1500kg sei schlicht zu hoch, die Ladekapazität zu klein, die Düsen zu laut. Die Marktreife ist jedoch erst in 5 Jahren angedacht. Fürs Erreichen der hochgesteckten Ziele verbleiben also einige Jahre, in denen auch weitere technische Fortschritte vor allem im Bereich der Batterie anzunehmen sind. 

Bis 2025 sind außerdem viele offene Fragen zu klären: Angefangen bei der Art und Weise des Ladevorgangs, dem Umgang mit Fluggeräuschen über Wohngebieten, bis hin zur Pilotenausbildung und allgemeinen gesetzlichen Regelungen zum neuartigen Flugverkehr.

Bei aller Kritik sind sich Experten jedoch einig, dass sich das Bild der Mobilität bis 2030 zunehmend verändern wird. Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass bis dahin bereits 100.000 Drohnen im Mobilitätssektor im Einsatz sind.

Welche Rolle Lilium spielen wird? Wir sind gespannt.

Du willst noch mehr? In anderen Blogbeiträgen berichten wir von weiteren Unicorns, z.B. von Insightec, Podium, DigitalOcean.